Meister Wong Cheung Kiu
Wong Cheung Kiu (Familienname in Mandarin „Wang“, der später auch in seinem niederländischen Ausweis Verwendung fand) wurde am 15. August 1923 in Hong Kong geboren. Aufgrund der seinerzeit britischen Zugehörigkeit Hong Kong´s bekam er von seinen Eltern ergänzend den englischen Vornamen „Joseph“.
Seine Eltern waren beide Hakka (eine der acht han-chinesischen Volksgruppen, die sich durch ihre eigene Kultur, Sprache und Geschichte von den übrigen chinesischen Volksgruppen unterscheiden) und übten sich beruflich im Beruf der Kräuterheilkunde.
Der Vater von Wong Kiu praktizierte aktiv Hung Gar Kung Fu und wollte nicht, dass seine Kinder Kung Fu lernen. Trotzdem verfolgte Wong Kiu eine Ausbildung im südlichen Praying Mantis Stil (Tang Lang). Dieser Stil beinhaltete bereits viele ähnliche Elemente, die in anderer Interpretation auch im Wing Chun vorkommen. Hierzu gehören sowohl Chi-Sao-ähnliche Bewegungen als auch die Häufigkeit der Zahl 8 im Unterrichtsgefüge (Curriculum) wie zum Beispiel im Wing Chun die 8 Tritte, 8 Handflächenstöße und 8 Doppelhände (Pou Pai) sowie im Tang Lang die 8 Positionen, die 8 Ellbogen und die 8 harten Methoden.
Wong Kiu wurde in Hong Kong wesentlich geprägt durch sein Studium auf dem Wah Yan College, welches dem jungen Mann grundlegende Werte vermittelte. Das College hatte und hat auch heute noch einen festgeschriebenen Wertecodex, der durch Begriffe geprägt ist wie: Stolz auf die Schule, Höflichkeit, Ehrlichkeit, Respekt – insbesondere vor den Eltern. Weiter gehören dazu: Im Fall einer Niederlage ein guter Verlierer sein, anderen helfen, rein in der Sprache sein, der Glaube an Gott sowie insbesondere der Sieg über sich selbst als der größte Sieg.
Als guter Sportler auf dem College war er in jungen Jahren Hong Kong Meister im klassischen Rollschuhlauf sowie zeitlebens ein begeisterter und guter Schwimmer, was ihm später den Beinamen „Water Dragon King“ einbrachte.
Ende der 40er Jahre (1948/1949) arbeitete Wong Kiu als erster chinesischer Ingenieur im Straßenbau für die britische Obrigkeit. In der für Meister Wong Kiu arbeitenden Mitarbeiterschaft befanden sich mit Wong Shun Leung und Ip Po Ching zwei weitere spätere Trainingskameraden, die unter Yip Man Wing Chun erlernten. Ip Po Ching war in dieser Zeit als Fahrer für Wong Kiu tätig.
Im Jahr 1953 brachte Wong Man Leung (der Bruder von Wong Shun Leung) Wong Kiu zu Yip Man. Wong Man Leung erzählte Wong Kiu im Vorfeld von einem Kung Fu Meister, der einen von einer Frau entwickelten Kung Fu Stil ausübe und komische Bewegungen mache, die sich später als Chi-Sao (Klebende Hände) herausstellten. Ip Man unterrichtete zu dieser Zeit seine ersten Schüler im „Third Prince Temple“ in Hong Kong. Nachdem Wong Kiu sich persönlich vorstellte ging er nach Trainingsschluss mit Yip Man ins Teehaus. Dort unterhielten beide sich über Kung Fu, die Unterschiedlichkeit zwischen den Stilen und die Konditionen des Unterrichts bei Yip Man. Dieser interessierte sich für Wong Kiu, insbesondere auch aufgrund dessen Vorerfahrung im Mantis-Stil. Wong Kiu bat Yip Man, am Unterricht teilnehmen zu dürfen und wurde so einer der ersten 5 Schüler von Yip Man in dessen Hong Kong Ära.
Sehr schnell erkannte Wong Kiu die Überlegenheit des Wing Chun gegenüber anderen Kung Fu Stilen und hatte den Wunsch, mehr zu lernen und insbesondere auch möglichst viel theoretisches Wissen, vermittelt zu bekommen. So entstand der Wunsch, Wing Chun im Privatunterricht von Yip Man zu erlernen. Yip Man war einverstanden. So wurde Wong Kiu bereits nach wenigen Trainings im „Third Prince Temple“ Privatschüler Yip Man´s – einer der Gründe, warum Wong Kiu in dieser Zeit kaum Kontakt zu anderen Schülern aus der Wing-Chun-Klasse dieser Zeit hatte.
Beim Training an verschiedenen Orten bestand lediglich Kontakt zu Mitschülern, die Yip Man in den Anfängen seines Unterrichts in Hong Kong ebenfalls begleitet haben. Hierzu gehörten: Leung Sheung, Lok Yiu, Wong Shun Leung, Chu Shong Tin und Ip Po Ching.
1954 kam der spätere Filmstar Bruce Lee als Schüler zu Yip Man. Yip Man bat Wong Kiu darum, sich Bruce Lee als jüngeren Kung Fu Bruder anzunehmen und diesem bei seinem Training zu helfen. Dieser Aufgabe wurde Wong Kiu gerecht – unter anderem lernte Bruce Lee im Haus von Wong Kiu von diesem die ersten 30 Bewegungen der Holzpuppe (Wooden Dummy). Wong Kiu gab nach einiger Zeit diese Aufgabe auf eigenen Wunsch an Wong Shun Leung ab, da er sich selbst aufgrund eines berufsbedingt und familiär immer enger werdenden Zeitfensters nur noch um sein eigenes Training kümmern konnte.
Ende der 50er Jahre kam auch der Bruder von Wong Kiu, Wong Si Wing, zu Yip Man, um Wing Chun zu lernen. Wong Si Wing übte Wing Chun ebenfalls bis zu seinem Tod aus und unterrichtete in seiner Schule zu Lebzeiten erfolgreich zahlreiche Schüler.
1974 besuchte Wong Kiu im Rahmen einer Restauranteröffnung die Stadt Den Haag in den Niederlanden und lernte dort seine zweite Ehefrau kennen. Dies veranlasste ihn, bis zu seinem Dahinscheiden im Jahr 2009, seinen Lebensmittelpunkt nach Den Haag zu verlegen.
In der Zeit bis zu seinem Tod im Jahre 2009 unterrichtete Wong Kiu zahlreiche Schüler aus verschiedensten Ländern, von denen viele durch Unterricht in eigenen Schulen die Tradition erhalten und die Wing Chun - Lehre erfolgreich an die nächste Generation weitervermitteln.
Meister Wong Kiu wurde 86 Jahre alt.